Jaja, die Sterne!

Ist immer ein bißchen schwierig, bei diesem Thema nicht wie ein getroffener Hund zu klingen. Andererseits sind wir nun schon so viele Jahre von diesem Thema emanzipiert (ja !), daß man uns nun eine fast sachliche Einstellung abnehmen möge.

Der Herbst ist die Zeit der Verleihung der verschiedenen Einschätzungen der verschiedenen Gaststätten–Führer der verschiedenen Gast–Stätten.

Unter uns Profis ist die Lage eigentlich nicht sehr angespannt. Es gibt welche, die das Lametta brauchen, weil es ihre geographische Lage oder ihre nationale und internationale Buchbarkeit erfordert. Wer auf dem Lande hervorragend kocht und Angst haben muß, daß im Novembernebel oder bei Schnee keiner mehr hin findet, für den ist die Bewertung und Erwähnung wichtiger, als z.B. einem Stadtrestaurant wie dem unsrigen.

Dann gibt es natürlich noch die jungen Ehrgeizigen, die sich noch nicht trauen, alleine zu sein und deshalb nicht mitbekommen, wie sie von mehr oder weniger kompetenten „Richtern“ gezüchtigt werden. Dann gibt es noch die vom Erfolg überraschten, die weder geschmiert hatten, noch mit viel Presse–TamTam auf sich aufmerksam machten – die sind aber selten.

Und dann gibt es auch noch solche wie uns.
Der Gault & Millau hat sich ja inzwischen gewandelt und scheint ein wenig seriöser und kompetenter zu arbeiten. Also ziehen wir unsere herbe Meinung aus früheren Jahren zurück.

Ja, und dann der Michelin. Ich weiß nicht, warum fast alle Journalisten immer die Hacken zusammenknallen, wenn dieses ehrwürdige Institut erwähnt wird und nun auch wählt. Es ist hilfreich, den Michelin in unbekannter Gegend zur Suche einer Behausung aufzuschlagen – aber zum Essen?

Bestenfalls verdient dieser Führer (übrigens nicht nur die deutsche Ausgabe) Aufmerksamkeit für eine klar eingeschränkte Klientel: die Anhänger der französischen Küche. Das ist auch okay so.

Es wäre aber gut, wenn die Michelin–Richtung als das eingeschätzt würde, was sie letztlich ist: einseitig und sehr parteiisch auf eine von vielen Küchenmöglichkeiten fixiert. Aber statt dessen: „Gotha“ der Küchenkritik!

Der Michelin–France ist lachhaft und für den Feinschmecker unbrauchbar, weil er nicht widerspiegelt, daß die französische Restaurant–Qualität in der Breite auf ein jämmerliches Niveau gesunken ist.

Da leuchten so viele Sterne in Restaurants, die bei uns mancher Dorfgasthof in den Schatten stellte – sieht man einmal von Madames Klunkern und ihrem hochnäsigen Empfang ab.
Der Michelin–Deutschland ist das Gegenteil: streng und wählerisch. Wer (wie wir) die reduzierte und puristische Koch–Variante wählt, ohne Fett und Kleister, der hat hier keine Chance; übrigens auch nicht, wer keine französischen Weine auf der Karte hat.

Ich würde sagen, daß der Michelin–D. die ordentliche und gute Meßlatte ist, die er eigentlich in Frankreich anlegen sollte. Allerdings wäre der französische Führer mit den in Deutschland angelegten Kriterien höchstens halb so umfangreich.
Und, das wissen wir ja mittlerweile auch, die deutschen Köche sind verdammt gut – auch im Lernen und Adaptieren.

In meiner Studienzeit zogen wir (wenn wir das nötige Kleingeld zusammenhatten) bei feierlichen Anlässen ins benachbarte Elsaß. Heute fiele mir dazu (außer Froschschenkeln und Foie gras) kein Grund mehr ein.

Das ist übrigens auch ein Lob von Herzen, das ich gerne meinen Kollegen übermittele.

Der Michelin–Italien wird im Gegensatz zu den beiden erstgenannten zwar gedruckt, aber nicht ernst genommen – zumindest nicht in Italien. Vermutlich dürften die meisten Käufer aus D kommen (ich übrigens auch – aber nur und ausschließlich wegen der Hotels). Niemals würde ich in Italien ein Restaurant wegen des Michelin aufsuchen! Italiener verziehen (wenn sie denn überhaupt von dem Opus gehört haben) verächtlich den Mund. Die Konzentration aufs Material, die in guten italienischen Küchen Standard ist, kann der Michelin–I. nicht verstehen und so zählen auch dort eher die Clowns und die Nachbeter der Sahne–Küche.
Zugespitzt könnte man sagen, daß die italienische Küche sehr „einfach“ ist. Wenn der Fisch stinkt, ist nichts mehr zu machen. Die „Hochküche“ könnte immer noch ein kleines Düftchen aus Zubereitung und Anhäufung von Kalorien dagegen setzen.

Langer Rede kurzer Sinn: der Michelin ist redlich und nicht polemisch, wenig informativ, aber fest gepolt auf eine bestimmte Ausprägung der Koch–Kunst. Und so sollte man ihn schätzen und nicht überhöhen als Instanz, die alle unsere modernen Genußmöglichkeiten zusammenfaßte und in ein Wertesystem bringt.
Vergleichbar mit dem Marmeladenpapst der Bordeaux–Weine (Wine–Spectator–Parker), mit dem jede mediokre Klitsche Werbung macht, sobald sie erwähnt ist.

Und damit zurück zu einem Wort, das ich weiter oben brauchte: emanzipiert.

Solange ich nicht reich genug bin, nicht mehr arbeiten zu müssen, möchte ich mich in meinem Haus meiner Arbeit nicht schämen. Das ist das Minimum.

Entscheidend und wichtig ist doch, wie ein Gast–Haus sich selbst definiert und sieht und ausstattet. Wer von uns erwachsenen Profis möchte sich denn von „Hobby“–Köchen (Gault–Millau) oder Ex–Köchen (Michelin) bewerten lassen?

Wir jedenfalls nicht!
Manfred Schmitz