Ein Restaurant ist wie Theater (BZ-Interview)

Interview mit Manfred Schmitz, Patron der Freiburger Enoteca

Seit 30 Jahren gibt es die Enoteca in Freiburg, seit 30 Jahren ist Manfred Schmitz "Spiritus Rex" und Patron der kleinen Trattoria und des großen Restaurants in der Gerberau. Ein Interview.

Seit 30 Jahren gibt es die Enoteca in Freiburg, seit 30 Jahren ist der unverwechselbare, immer deutlich formulierende Manfred Schmitz "Spiritus Rex" und Patron der kleinen Trattoria und des großen Restaurants in der Gerberau. Ein stolzes Jubiläum und in der schnelllebigen Gastrolandschaft Anlass genug, nachzufragen. Christian Hodeige hat sich mit Manfred Schmitz unterhalten.

BZ: Herr Schmitz, 30 Jahre Enoteca, kleines und großes Restaurant, 30 Jahre Manfred Schmitz im fast täglichen Einsatz – keine Ermüdungserscheinungen?
Schmitz: Kaum. Die Arbeit ist spannend. Die Begegnung mit täglich sehr unterschiedlichen Menschen auch. So ein Restaurant ist wie Theater. Es gibt kein Playback, was uns misslingt, ist schwer gutzumachen.

BZ: Wie kamen Sie zur Gastronomie?
Schmitz: Essen und Kochen schrieb ich immer groß. Auch in meiner Studentenzeit, in der ich meist in größeren Gemeinschaften wohnte, liebte ich es, zu kochen. Wer kochte, musste nicht abwaschen. Sind Sie schon mal für einen tollen Abwasch gelobt worden? Ich importierte in den 80er-Jahren die ersten großen italienischen Weine nach Freiburg. Es war sehr mühsam und ich musste gegen viele Vorurteile ankämpfen. So dachte ich, dass der Zugang zu den Weinen leichter übers Essen gehen mag. Auf meinen Weinreisen hatte ich inzwischen die wunderbare und einfache italienische Küche lieben gelernt. Bei uns dominierte ja damals noch die schwerere französische Küche. Das Konzept ging von Anfang an auf. Und bis heute bin ich stolz, dass wir diese doch sehr anspruchsvolle Einfachheit in Freiburg repräsentieren. Ganz bescheiden: Viele gute italienische Restaurants in der Klasse der Enoteca kenne ich in der Republik nicht.

BZ: Was hat sich in den 30 Jahren grundlegend verändert?
Schmitz: Neben der Verbesserung der Weinqualität in fast allen Ländern vielleicht die höhere Akzeptanz feiner Küche. Ich glaube zwar nicht, dass die Inflation von Kochsendungen im Fernsehen zur Verbesserung der häuslichen Köchelei führt oder gar zu besserer Warenkunde, aber es hat sich viel getan. In meiner Studienzeit gingen wir, wenn wir etwas Geld zusammengekratzt hatten oder ein Geburtstag zu feiern war, ins Elsass. Da denkt heute keiner mehr dran. Dafür kommen die heute zu uns rüber.

BZ: Das kurioseste Erlebnis?
Schmitz: Der heutige Kardinal Gänswein kommt mittags ins Restaurant und kein Tisch ist frei. Da gehen gerade Gäste. Unser Oberkellner, nicht wissend, wen er vor sich hat, geht auf Gänswein zu und sagt: "Wie durch Gottes Fügung ist gerade ein Tisch frei geworden". Wir waren alle einer Ohnmacht nahe.

BZ: Früher war Manfred Schmitz der Gästeschreck – heute nicht mehr?
Schmitz: Viele Badener haben oder hatten Probleme mit meinem rheinischen Humor, der auch schon mal sarkastisch werden kann. Kommt sicher dazu, dass ich entgegen der Wahrnehmung vieler, doch eher bescheiden bin und meine Unsicherheit mit Frotzeleien kaschiere. Es gibt aber auch Wichtigtuer, die mich nerven und nicht verstehen, dass ich nicht jeden Tag an jedem Tisch herumstreiche, um die Honneurs zu machen. Ich schnappe mir in der Küche lieber einen Teller, um ihn an den Tisch zu bringen und bei der Gelegenheit Guten Tag oder Guten Appetit zu wünschen. Ich gehe auf die Siebzig zu, also werde ich mit meiner einsetzenden Altersmilde nicht mehr allzu viele verschrecken.

BZ: Ein Steckenpferd – der Wein. Was waren hier die Veränderungen? Hat sich der Geschmack von Schmitz auch verändert?
Schmitz: Nun, nicht gerade "Steckenpferd", sondern harte Arbeit und Grundlage unseres Betriebes. Die größte Veränderung ist das deutsche Weinwunder. Hatten wir vor 30 Jahren nur Wein von Heger, Marget (Hügelheim) und Keller und dagegen 50 bis 60 italienische Weißweine auf der Karte, so ist es heute umgekehrt. Meine Weinkarte, siehe meine riesige Auswahl an Riesling, war immer subjektiv. Einen Wein, der mir nicht schmeckt, kaufe ich nicht. Aber, nochmal zum deutschen Weinwunder, die Auswahl an überragenden Weinen (für mich überwiegend die Weißweine) ist phantastisch und ich weiß gar nicht, wo ich zuerst zugreifen soll. Das ist ökonomisch für unser relativ kleines Lokal ja auch ein Risikofaktor, dass der Chef besser einkaufen als verkaufen kann.

BZ: Wären sie heute lieber Winzer als Gastronom?
Schmitz: Nein. Dazu bin ich nicht konstant und fleißig genug. Außerdem ist es schöner, in einer Vielfalt von Speisen und Weinen zu schwelgen, als seinen eigenen Wein vermarkten zu müssen.

BZ: Drei Lieblingslokale hier in der Region?
Schmitz: Hirschen Sulzburg, Schwarzer Adler Oberbergen, Spielweg Münstertal.

BZ: Drei Ausflugsziele in Italien?
Schmitz: Köln, Berlin, Venedig.

BZ: Wünsche für die Zukunft?
Schmitz: Mehr Qualität in der Erzeugung von Lebensmitteln. Ich fände es wunderbar, wenn die Leute zuhause weniger Müll äßen und weniger Fleisch und dass dafür der ganze Dreck für irgendwas mit neunundneunzig nicht mehr erzeugt würde. Weniger Maisfelder, dafür auch mal einen Bauern, der sich traut, Wachteln zu züchten … Das ist ein großes und für mich wichtiges Thema. Das geht nicht in Kürze.

BZ: 30 Jahre auf konstant hohem Niveau ist eine Leistung. Wollen Sie nicht etwas mehr Auszeichnungen?
Schmitz: Nein. Wir und unsere Gäste sind recht kritisch. Da müssen wir uns nicht von fremden Urteilen, deren Grundlagen wir nicht mal kennen, abhängig machen. Der Gault-Millau, dessen Geschäftsmodell zu sein scheint, Kollegen hoch zu bewerten, um die Fallhöhe für die nächste Ausgabe zu erhöhen, interessiert uns nicht. Und wer nicht Champagner und französische Weine auf der Karte hat, kann wohl mit Michelin nicht rechnen. Kleines Beispiel: Seit Gründung gibt es (auch in der Trattoria) Mundservietten aus Stoff, auch für einen Salat für fünf Euro. Unser Rotwein ist seit 30 Jahren bei Trinktemperatur kühl gelagert. Wir hatten schon Riedelgläser, als andere Sterneläden noch aus Senfgläsern servierten. Bis aufs Geld, das wäre strafbar, stellen wir alles täglich selbst her (Pasta, Brot etc.).Das hat niemand groß registriert, uns aber war das wichtig.

BZ: Herr Schmitz, wir danken für das Gespräch.

Badische Zeitung vom 12. September 2015